Bauernmalerei

 

Wie in früher Zeit lebt auch heute noch die Mehrheit der Uiguren auf dem Lande. Und was tun Bauern im Winter, wenn die Felder ruhen und das Vieh im Stall versorgt wird? Sie nutzen die Zeit für Gemeinsamkeit. Sie singen, musizieren, tanzen und malen.

 Doch natürlich sind es nicht nur die Bauern, die in ihrer freien Zeit gern musizieren und malen, sondern überall in der uigurischen Bevölkerung tut man es gern und deshalb sollte dieses Kapitel vielleicht eher „Laienmalerei“ oder „Naive Malerei“ heißen, aber da das uigurische Wort Dehqan ressamchiliqi  ist und dehqan Bauer bedeutet, möchte ich es gern dabei belassen.

Die Bauernmalerei erfreut sich seit der Öffnungspolitik in den 1980er Jahren unter den Uiguren großer Beliebtheit. Nach der jahrzehntelangen kulturellen Einengung sehnten sich die Menschen nach ein bisschen Kunst im Leben. Die Zeit dürstete nach Freiheit, suchte Wege aus der Ödnis der erstickenden Vorschriften und Verbote, suchte nach einem geistigen Neuanfang. Junge Leute schlossen sich in vielen Städten zu einer Art Kulturverein zusammen, den Meshreps, wo sie diskutieren und gemeinsam Neues ausprobieren konnten, z.B. in Dichtkunst, Musik, Theater, Malerei, auch bei Sport wie Seiltanz, Fußball oder dem in Zentralasien beliebten Reiterspiel Oghilaq Tartish.

Viele Bauern begannen zu dieser Zeit, in den Wintermonaten zu malen. Sie malten, was in ihrem Leben wichtig war: die Arbeit auf den Feldern und das Vieh, gemeinsames Feiern und Musizieren. Sie hatten das Malen nicht gelernt, waren Autodidakten und stellten die Figuren ohne großes künstlerisches Wissen dar, achteten nicht auf Perspektiven, räumliche Genauigkeit oder Schattenwurf. Da aber diese Bilder, wenn auch nicht von hohem künstlerischem Wert, so doch spontan aus dem Herzen der Maler kamen, besaßen sie eine Kraft, die nicht nur sie selbst, sondern auch fremde Betrachter faszinierten. So kam eines Tages Mutellip aus Mäkit, einer kleinen Stadt nahe Kashgar, auf den Gedanken, sie der Öffentlichkeit zu präsentieren. Er organisierte eine Ausstellung, die so erfolgreich wurde, dass sie auch in Urumchi und später sogar in Peking gezeigt wurde. Dem wollten andere Städte nacheifern und so kam es, dass die Bauernmalerei immer mehr Anhänger fand.

Die Meshrep-Bewegung erlitt 1997 einen herben Rückschlag. Junge Menschen, die lernen mit Freiheit umzugehen, sprechen auch über Politik und die Zukunft ihres Landes und dies war der chinesischen Obrigkeit ein Dorn im Auge. Sie sah in den Zusammenkünften junger Leute eine politische Gefahr, denn natürlich gab es Unzufriedenheit im Land: Wo war denn die Autonomie, die man den Uiguren zugesichert hatte? Warum wurde die traditionelle uigurische Kultur verdrängt, obwohl die Verfassung ihren Erhalt garantierte? Wer war für die vielen Ungerechtigkeiten verantwortlich? Als dann die Hinrichtung mehrerer uigurische Aktivisten bekannt wurde, kam es in Ghulja zu massiven Protesten und diese wurden in einem blutigen Massaker von der Volksbefreiungsarmee niedergeschlagen.

Heute gibt es in allen kleinen und großen Städten Xinjiangs Kulturzentren, die folkloristische Aktivitäten, vor allem Musik und Tanz, aber auch die Bauernmalerei fördern. Dies ist einerseits eine gute Sache, weil es den Menschen Ansporn gibt, sich künstlerisch zu betätigen, aber andererseits ist es auch wieder eine vom Staat verordnete Einengung, denn nun gilt nur noch das, was das chinesische Erziehungssystem verlangt, nämlich Vorbildern nacheifern und der sozialistischen Idee dienen. Nicht mehr spontane Eingebung und die Liebe und Verbundenheit zu ihrem Land und ihren Traditionen bestimmen nun die Bilder (siehe Bauernmalerei im Bild, erster Teil), sondern Themen des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts. Sie sollen den Menschen vorgaukeln, wie glücklich sie das chinesische Regime macht, und dazu auch als touristische Werbung für ihre Stadt oder Region dienen.[1] Damit hat die Bauernmalerei einen propagandistischen Touch bekommen und ihre Seele verloren (siehe Bauernmalerei im Bild, zweiter Teil). Denn kann sich ein Dorfbewohner wirklich so über graue, stinkende Industrieanlagen freuen, dass er das Bedürfnis hat, sie in strahlenden, fröhlichen Farben zu malen? Sind die Uiguren tatsächlich froh, wenn ihnen die Heimat genommen wird und sie in seelenlosen Siedlungen oder in Hochhäusern leben sollen, weil ihre alten Wohnungen abgerissen wurden? Jubeln sie ehrlichen Herzens, weil einige von ihnen im Gefängnis sitzen, weil alte Schriften verbrannt werden, weil Frauen sich nicht verschleiern dürfen oder weil ein alter Bauer ein modernes Handy bekommen hat? Kann es sie glücklich machen, wenn staatliche Großfarmen, die nur Han-Chinesen beschäftigen und ihnen selbst keine Arbeit geben, aufwändig bewässert werden, während ihre eigenen kleinen Höfe vertrocknen?[2]

 Das sieht nur noch wenig nach „Bauern“-Malerei aus. Es ist chinesische Propaganda, die die natürliche Kreativität der Laienmaler für ihre eigenen Zwecke nutzt. Die Bilder leuchten zwar in kräftigen Farben, weil sie jetzt meist mit Acryl anstatt mit Gouache gemalt werden, aber sie zeigen nicht mehr das, was uigurischen Bauern wirklich am Herzen liegt.

Dies ist ein Beispiel dafür, wie die chinesische Regierung alle Bereiche des uigurischen Lebens zu durchdringen sucht, um unter dem Vorwand, etwas Gutes zu tun, den Uiguren langsam und beinahe unmerklich ihre Identität zu nehmen.

  

Siehe auchBauernmalerei im Bild