Kunsthandwerk

 

In Zentralchina weiß man nicht viel über die Uiguren, denn für die Chinesen im Reich der Mitte gehören sie nicht richtig dazu, leben irgendwo weit im Westen, in der Wüste, fernab der Zivilisation, sie sind rebellisch und ein wenig zurückgeblieben, hört man in den Medien. Aber etwas Positives gesteht man ihnen dennoch zu: Sie können tanzen. Auch für Seiltanz (Darzaw[1]) sind sie bekannt, und außerdem haben sie großes Geschick im Kunsthandwerk.

Das Kunsthandwerk hat bei den Uiguren eine lange Tradition. Vor mehr als tausend Jahren schrieb der chinesische Gesandte Wang Yen (981-984) in seinem Reisebericht: „Ich war von der ausgedehnten Zivilisation im Uigurenreich beeindruckt. Die Schönheit der Tempel, Klöster, Wandgemälde, Statuen, Türme, Gärten, Wohnstätten und der Paläste im ganzen Königreich kann nicht beschrieben werden. Die Uiguren sind sehr geschickt im Kunsthandwerk von Gold und Silber, Vasen und Keramik. Manche sagen, dass nur Gott dieses Talent ihnen zukommen ließ.“[2]

Nun, heute wird das Lob vermutlich weniger überschwänglich ausfallen, aber beliebt ist uigurisches Kunsthandwerk auch bei chinesischen Touristen unserer Zeit. Radio China International berichtet anerkennend: „Das volkstümliche traditionelle Kunstgewerbe hat in Xinjiang eine lange Tradition und einen hohen kulturellen und künstlerischen Wert.“[3] Da gibt es Keramik und Holzschnitzereien, Teppiche und Stickarbeiten, Schals aus bunter Atlasseide, Figuren aus Jade, Kupferkannen und Messer aus Yengisar.

Holzarbeiten: Wunderschön sind die großen, holzgeschnitzten, oft bunt bemalten und mit Metallornamenten beschlagenen Hoftore in den Oasenstädten rund um die Wüste Taklamakan. Auch Wand- und Deckenverkleidungen in den Wohnhäusern sowie kleinere und größere Gebrauchsgegenstände sind oft liebevoll und aufwändig mit Schnitzereien, Einlegearbeiten oder farbigen Mustern verziert, so zum Beispiel Kinderbettchen, Schüsseln und Löffel, Musterstempel für Nan-Brot (siehe auch: Die Küche im Bild). Kalebassen in jeder Größe und mit jeder Art von Verzierung werden überall zum Kauf angeboten. Auch die vielen unterschiedlichen Musikinstrumente sind aus Holz von Hand gearbeitet und dekoriert.

Messer: In der kleinen Stadt Yengisar werden schon seit 400 Jahren Messer und Dolche hergestellt. Man brauchte sie früher nicht nur für das tägliche Leben, sondern auch für rituelle Handlungen und traditionelle Bräuche. Zum Beispiel legte man einem neugeborenen Jungen ein Messer unter das Kopfkissen, damit er zu einem mutigen Mann heranwuchs. Die Yengisar-Messer haben eine gebogene Klinge mit feinen Gravuren und einen kunstvoll geformten Griff aus Holz, Horn, Silber, Kupfer oder Kamelknochen. Manchmal hat er die Form einer Schwanzfeder des Phönixes, manchmal ist er mit Ziselierungen und bunten Einlegearbeiten verziert. Jedes Messer wird auch heute noch mit sehr einfachen Werkzeugen hergestellt, die über Generationen vom Vater auf den Sohn weitervererbt wurden.

Stoffe und Handarbeiten: Einen ganz eigenen Stil haben die Webmuster der uigurischen Atlasseide. Sie erinnern an Holzmaserung oder fließendes Wasser und leuchten meist in bunten Farben. Frauen und Mädchen tragen an Feiertagen gern Kleider aus dieser Seide, aber auch für vieles andere ist sie beliebt. Es wird nicht nur Seide kunstvoll verarbeitet, sondern auch Wolle. Die Teppichknüpferei hat vor allem in der Hotan-Oase eine lange Tradition. Filzarbeiten, hauptsächlich auch für Teppiche, fertigt man überall, ebenso Stickarbeiten. Stickereien für Kleider und Männerhemden sind sehr beliebt, ganz besonders für Doppas.

Doppa: Die meisten Männer tragen aus traditionellen oder religiösen Gründen eine Kopfbedeckung, meist eine bestickte, viereckige Kappe, die Doppa genannt wird. Frauen tragen eher ein Kopftuch, manchmal aber auch eine Doppa, vor allem zu feierlichen Anlässen. Früher besaß jede Ortschaft ein eigenes Stickmuster, so dass man immer erkennen konnte, woher ein Besucher kam. Heute ist das nicht mehr so und viele Doppas werden industriell hergestellt, doch noch immer gibt es sie mit einer Vielzahl unterschiedlicher und zum Teil sehr kunstvoller Stickereien.

Papier: Das Papierherstellerhandwerk in Hotan stirbt langsam dahin. Früher wurden sogar Geldscheine aus Hotan-Papier hergestellt, heute benutzen es nur noch Liebhaber zum Malen oder Briefeschreiben und die wenigen Papiermacher, die es noch gibt, finden keinen Nachwuchs. Das Geschäft lohnt nicht mehr, außerdem ist es eine mühsame Arbeit: Aus der Rinde junger Maulbeerbaumzweige werden die weichen inneren Fasern geschabt, dann gekocht, zerstampft, gepresst, gerührt und in einem Wasserbecken auf Rahmen verteilt, sorgfältig glatt gestrichen und anschließend zum Trocknen in die Sonne gestellt. Nach einigen Stunden kann man den fertigen Bogen Papier aus dem Rahmen herauslösen.

Kupferarbeiten: Weit verbreitet ist auch heute noch das Kupferhandwerk, ebenso die Herstellung von Truhen. Diese Holztruhen, die fast jeder Haushalt zur Aufbewahrung diverser Dinge verwendet, da Schränke nicht so gebräuchlich sind wie bei uns, werden entweder mit Schnitzereien oder Bemalung versehen oder – was eine eigens uigurische Art ist – mit unzähligen schmalen Metallstreifen und verschiedenfarbigen kleinen Nägeln verziert.

Jadeschnitzerei: Nicht zuletzt zu erwähnen ist die Jadeschnitzerei. Vor allem die Hotan-Oase ist berühmt für die weiße oder blassgrüne Jade, die der Hotan-Fluss aus dem Kunlun-Gebirge herabspült. Sie war schon in früher Zeit eine begehrte Handelsware, die über die südliche Route der Seidenstraße nach China gebracht wurde.

Die lange Geschichte des uigurischen Kunsthandwerks lässt sich durch die Funde belegen, die Archäologen aus den vom Wüstensand verschütteten Oasenstädten und in den buddhistischen Felshöhlen gefunden haben. Im Xinjiang Regional Museum in Urumchi und im Museum von Turpan, aber auch in anderen Museen der Welt, u.a. im Museum für Asiatische Kunst in Berlin-Dahlem sind viele Beispiele ausgetellt.

 

Siehe auch:  Kunsthandwerk im Bild