Uigurische Malerei

 

Weltbekannt sind die Wandmalereien, mit denen buddhistische und manichäische Künstler zwischen dem 4. und 11. Jahrhundert Felshöhlen rund um die Wüste Taklamakan ausgeschmückt haben. Sie hatten Einflüsse aus den verschiedenen Kulturen aufgenommen, die über die Seidenstraße zu ihnen gekommen waren, und daraus ihren eigene Stil entwickelt.

Als sich ab dem 10. Jahrhundert nach und nach der Islam in der ganzen Region des heutigen Xinjiang ausbereitete, verloren die Höhlen ihre Bedeutung und die Kunst nahm eine andere Richtung. Da im Islam eine bildliche Darstellung des Menschen nicht erlaubt ist, beschränkte sich die Kunst von da an im Wesentlichen auf Ornamentik und Kalligraphie, und dies vor allem in der Architektur.

Wie steht es heute um die Kunst der Uiguren?

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verlor das islamische Bilderverbot an Bedeutung, sei es durch neue Einflüsse aus Zentralasien oder durch die westlichen Forscher und christlichen Missionare, die ins Land kamen und einen Blick über die Grenzen hinaus öffneten, sei es weil es einfach an der Zeit war, aus einem jahrhundertelangen Dornröschenschlaf zu erwachen, jedenfalls begannen zu dieser Zeit einige Maler, auch das Leben der Menschen darzustellen.

Als die Nationalisten die Herrschaft übernommen hatten, wurde die künstlerische Freiheit noch einmal stark eingeschränkt  und als der Kommunismus kam, war Kunst überhaupt nur erlaubt, wenn sie ihm huldigte. Themen aus dem sozialistischen Alltag, glückliche Bauern, siegreiche Soldaten und ein alles überstrahlender Mao Zedong prägten über Jahrzehnte die Malerei in der gesamten Volksrepublik. Die Bilder des Sozialistischen Realismus waren einfach zu verstehen. Sie sollten selbst dem ungebildetsten Bauern klar und deutlich vor Augen führen, wie glücklich sich die Menschen schätzen konnten, unter diesem Regime leben zu dürfen. Schöpferische Experimente galten als dekadent, hatten in der Malerei dieser Zeit keinen Platz.

Nach dem Ende der Kulturrevolution versuchten einige junge chinesische Maler, die starre Bindung an realistische Formen zu überwinden und nach mehr Freiheit zu streben. Aber China hat in seiner langen Geschichte nie Freiheit und Individualismus gekannt, und mit der Zeit entschieden sich viele dieser avantgardistischen Vorreiter doch lieber für ein festes Einkommen und die Möglichkeit, ihre Werke auf staatlichen Ausstellungen präsentieren zu dürfen. Nur sehr wenige verfolgten weiter ihre neu eingeschlagenen Wege.

Xinjiang liegt dreitausend Kilometer entfernt von den kulturellen Zentren Chinas und hatte von dieser Entwicklung nichts mitbekommen. Auch heute noch sind die Uiguren mehr an alte Traditionen und Denkweisen gebunden als die Menschen in ostchinesischen Großstädten. In der Malerei sind weiterhin bunte Folkloreszenen beliebt, einfache Bilder mit einfachen Motiven, die das Leben zeigen, wie man es gern hätte. Aber dennoch gibt es einige kritische Künstler, die mehr von Kunst erwarten als das bloße Abmalen von Oberflächlichkeit und sich nicht mit Propagandathemen oder dem Kopieren alter Vorbilder zufrieden geben wollen.

So haben sich einige junge uigurische Maler und Kunstlehrer im Internet zusammengetan, um in einem WeChat[1]-Portal über neue Ideen und Erfahrungen zu diskutieren. Sie wollen von überholten Traditionen abkommen, Neues  ausprobieren, sich befreien von dem allgemeinen Kunstverständnis, dass ein Maler, der seine Bilder teuer verkaufen kann, weil er unter reichen Kunden gerade „in“ ist, ein großer Künstler sein muss. Im heutigen China gilt im Allgemeinen nur der materielle Wert der Dinge, nicht der ideelle oder künstlerische, doch die jungen Künstler wissen, dass wahre Kunst mehr sein muss als der Kaufpreis: Kunst muss etwas ausdrücken, was nicht nur für das Auge sichtbar ist, sondern Gedanken und Gefühle in sich tragen, die der Betrachter erspüren kann und die ihn zum Nachdenken anregen.

Das zu verstehen ist sehr schwer für jemanden, der eine chinesische Kunsthochschule besucht hat, wo nur Technik und Disziplin gelehrt wird: Abmalen, Vorlagen kopieren und noch einmal abmalen. Die handwerklichen Fertigkeiten stehen an oberster Stelle, eigene Ideen sind nicht erlaubt. Da man heute aber über das Internet Zugang zu westlichen Webseiten hat – obwohl viele gesperrt sind – und sieht, welche Richtungen die Kunst einschlagen kann, versuchen sie, die Mauern aufzubrechen. Im vergangenen Jahr konnten sie bereits gemeinsame Ausstellungen veranstalten, doch der direkte Kontakt zum Ausland scheint politisch nicht erwünscht zu sein.

Kürzlich hatten drei der Maler eine Ausstellung: einer in Urumchi, einer in Korla, einer in einer Kleinstadt im Bezirk Hotan – drei verschiedene Erfahrungen. Der Maler aus Korla war zufrieden, der aus der kleinen Stadt war begeistert, der aus der Millionenmetropole enttäuscht. Warum? Waren die einen Bilder schön und die anderen schlecht? Nein, es hatte nichts mit den Bildern zu tun, sondern allein mit der Einstellung der Betrachter. Die Besucher in Korla, einer Großstadt, nahmen die Ausstellung als ein kulturelles Ereignis, zu dem man gern geht, wenn man als gebildeter, weltoffener Zeitgenosse angesehen werden möchte. Zur Ausstellung in Urumchi kamen viele Freunde und Verwandte des Malers, sie begrüßten sich freudig, unterhielten sich blendend, naschten von den angebotenen Süßigkeiten – und warfen kaum einen Blick auf die Gemälde. Dass seine Bilder, seine Arbeit und Kunst, seine tiefen Gedanken und Gefühle, für die Besucher weniger wichtig waren als seichter Smalltalk, betrübte ihn sehr. Für die Besucher in der kleinen Stadt dagegen, wo man nur selten Gelegenheit bekommt, eine kulturelle Veranstaltung zu besuchen, war die Ausstellung ein aufsehenerregender Event. Sie war vorab allenthalten angekündigt worden, der Parteisekretär und alle Honoratioren kamen und einige Tage lang war sie Gesprächsstoff Nummer eins. „Ich werde richtig berühmt“, schrieb der Maler seinen WeChat-Kollegen, selbst erstaunt über den unerwarteten Erfolg. Die Frage ist nur: Waren die Besucher tatsächlich von seiner Malerei begeistert? Hatten sie sich die Bilder intensiv angesehen und überlegt, warum er anders malt, als es früher üblich gewesen war?

Uiguren lieben die Gemeinsamkeit. Sie mögen nicht gern allein und nicht anders sein als andere und daher sind ihnen ungewöhnliche neue Ideen immer ein wenig suspekt. Man hat nicht gelernt, über Neues zu diskutieren, sich selbst eine Meinung zu bilden, da man ja immer kritiklos das hinnehmen musste, was die Regierung oder die alten Traditionen verlangten. Ebenso wie die Maler künstlerische Freiheit erst allmählich lernen müssen, so müssen auch die Betrachter erst lernen, in der Kunst etwas zu entdecken, was nicht einfach nur schön anzusehen ist, sondern ein Innehalten verlangt, weil es vielleicht an Schlimmes erinnert, Angst macht, von Gewalt und Einsamkeit spricht, verwirrt. Doch wenn, wie in diesem Fall, die Medien und maßgebliche Persönlichkeiten der Gesellschaft diesen neuen Bildern Beachtung schenken und das Neue sogar würdigend hervorheben, dann lassen sie sich schnell beeinflussen. Dann ist das ein kleiner Schritt in Richtung Aufgeschlossenheit. Ein kleiner Schritt hin zum selbstständigen Denken.

Ein kleiner Schritt in Richtung Freiheit.

 

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2014 kam es in Berlin zu einer gemeinsamen Ausstellung. Im Jahr darauf meldeten sich nur wenige Künstler zur Teilnahme an und nach und nach zogen auch sie ihre Anmeldung  wieder zurück. 2016 meldete sich niemand mehr und 2017 wurde der WeChat-Kontakt ganz abgebrochen, weil es für die Künstler und Kunstlehrer aus Xinjiang zu gefährlich wurde, mit dem Ausland in Verbindung zu stehen. Bald darauf löste sich die Gruppe ganz auf, denn in Xinjiang erregt jegliche Gruppenbildung von Uiguren den Verdacht, aufrührerische, staatsgefährdende Ziele zu haben.

 

Siehe auch:    Das rosa Bild

                             Meine Seele und ich – Gedanken eines uigurischen Malers

     Alte Malerei im Bild

     Neue Malerei im Bild

 


[1] chinesischer Chat-Dienst für Smartphones