Die Sprache

 

Das heutige Xinjiang ist ein zweisprachiges Land: Da es zu China gehört, ist Chinesisch die Amtssprache; da es ein Autonomes Gebiet ist, ist Uigurisch ebenfalls als offizielle Sprache anerkannt.[1] Aber: Alle uigurischen Kinder lernen in der Schule Chinesisch, kaum ein Chinese versteht Uigurisch. In kleineren Städten findet sich hier und da noch eine uigurische Grundschule, aber die meisten wurden bereits abgeschafft, weil sich angeblich nicht genügend Schüler dafür fanden. An weiterführenden Schulen findet fast der gesamte Schulunterricht auf Chinesisch statt. Selbst außerhalb des Unterrichts ist es mitunter uigurischen Lehrern nicht erlaubt, mit ihren uigurischen Schülern uigurisch zu sprechen, denn die Regierung ist offenbar mehr und mehr bemüht, die uigurische Sprache in den Hintergrund zu drängen, um junge Menschen über die Sprache auch kulturell besser zu assimilieren. Das Anders-Sein, der Stolz auf eine eigene Kultur und Herkunft sollen allmählich verblassen.

Eine Besonderheit der chinesischen Sprache ist, dass sie aus Silben besteht und keine einzelnen Buchstaben kennt. Daher ist es so gut wie unmöglich, eine fremde Sprache klanggenau wiederzugeben, denn alle Laute müssen in die vorhandenen Silben gezwängt werden. So entstehen neue Wortgebilde, die ähnlich wie das fremde Wort klingen und gleichzeitig die Bedeutung der verwendeten Silben beinhalten. Zum Beispiel wird Coca Cola zu kěkǒukělè (kěkǒu = schmackhaft, wohlschmeckend, kělè = kann Freude bringen). Bei den uigurischen Städten Turpan und Urumchi fällt dies dagegen weniger verlockend aus: Tǔlǔfān bedeutet: = spucken, = grob, dumm, fān = fremd und Wūlǔmùqí: = Rabe, dunkel, = stumpfsinning, mù = empfindungslos, = gemeinsam. [2]

Dies ist eine Eigenheit der chinesischen Sprache, die man akzeptieren muss: Sie kann sich nicht anpassen. Sie kann nur Fremdes in sich hineinzwängen, vereinnahmen. Etwas fragwürdig erscheint allerdings, wie mit den uigurischen Eigennamen umgegangen wird. Sie werden nicht nur durch die chinesischen Silben entstellt, sondern auch die Reihenfolge wird verändert. Denn da bei den Chinesen der Familienname vor dem Rufnamen steht, wird kurzerhand aus einem Ahmadjan Bäkri ein Baikeli Aihemaitijiang, also ein Herr Aihemaitijiang, der vermutlich Mühe hat, seinen eigenen verunstalteten Namen richtig auszusprechen. Es ist beinahe so, als wollte man den Uiguren ihre Identität nehmen. Doch bleibt ihnen nichts anderes übrig, als es gelassen hinzunehmen und mit zwei Namen zu leben: einem privaten und einem offiziellen.

Mehr als bedenklich ist allerdings, wenn sich ein chinesischer Büroangestellter in seinem sprachlichen Geschick überfordert sieht und statt eines komplizierten Vornamens einfach XXX in den Ausweis tippt. Das kann doch nicht wahr sein? Es kann! Dann bleibt dem Betreffenden, wenn er im Ausland ein Formular auszufüllen hat, nichts anderes übrig, als in das Feld für Vorname „XXX“ einzutragen und sich eine plausibe Erklärung dafür einfallen zu lassen.

Siehe auch: Die unglaubliche Geschichte meines Namens

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Zu der Zeit, als die Seidenstraße durch das Land führte, müssen im heutigen Xinjiang viele Sprachen gesprochen worden sein. Nicht nur weil verschiedene Volksgruppen hier zu Hause waren, sondern auch, il ein ständiges Kommen und Gehen herrschte, ein unaufhörlicher Austausch von Waren unterschiedlichster Art, aber auch von Gedankengut, von technischem Wissen und Weltanschauungen. Obwohl kaum ein Händler den ganzen Weg von Xi’an, der damaligen Hauptstadt des chinesischen Kaiserreiches, bis zum Mittelmeer unternahm, sondern immer nur bestimmte Abschnitte, so trafen in den Oasenstädten an der Taklamakan doch die Einflüsse sehr vieler Kulturen aufeinander. Und vieles blieb. Es blieben nicht nur Religionen und reiche Kunstschätze, sondern auch ungezählte Schriftdokumente, die in Felshöhlen versteckt die Zeit überdauert haben. Es sind darunter Texte in alttürkischer, tocharischer, sogdischer, parthischer, baktrischer, persischer, mongolischer, tibetischer, chinesischer Sprache, auch in Griechisch, Syrisch, Hebräisch und Sanskrit[3]. Für den Handel mögen das Sogdische und Komanische (eine Turksprache) als Lingua franca gedient haben, aber es finden sich auch viele Übersetzungen der verschiedenen Sprachen von Kaufverträgen, Abrechnungen und Zollerklärungen, vor allem aber religiöse Texte aus Buddhismus, Manichäismus und Nestorianismus.

Die altuigurische Sprache ist mit dem Alttürkischen verwandt und wurde in Runen von oben nach unten geschrieben. Das heutige Uigurisch unterscheidet sich stark von der alten Sprache und benutzt ein leicht abgewandeltes arabisch-persisches Alphabet, bei dem auch die Vokale klar unterschieden werden. Ende der 1960er Jahre hatte die chinesische Regierung entschieden, dass es sinnvoller sei, in lateinischen Buchstaben zu schreiben, da man in der UdSSR das Usbekische, das dem Uigurischen sehr ähnelt, im kyrillischen Alphabet schrieb. 1987 wurde jedoch wieder das alte Alphabet eingeführt. Gleichzeitig behalten aber auch die lateinischen Buchstaben ihre Bedeutung, weil sie am Computer einfacher zu benutzen sind. Eine einheitliche Orthographie kennen dabei aber allenfalls diejenigen, die sie zwischen1969 und 1987 in der Schule gelernt haben. Ansonsten schreibt jeder mehr oder weniger nach seinem eigenen Gehör. Erschwerend kommt hinzu, dass die Aussprache in den verschiedenen Regionen Xinjiangs sehr unterschiedlich ist und dass die Umschreibung des Uigurischen nicht in allem mit der Pinyin-Transkription des Chinesischen übereinstimmt.

  

Zum Thema der alten Sprachen siehe auch:

http://www.bbaw.de/forschung/turfanforschung

Die „Turfanforschung“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ediert Texterzeugnisse, die in der Oase von Turfan und Umgebung in Ostturkestan (Xinjiang) gefunden wurden.

„Die alten Kulturen an der Seidenstraße, zu der viele Völker und Glaubensgemeinschaften ihren Beitrag geleistet haben, treten in ihren eigenen Schrift- und Bildzeugnissen am klarsten hervor. Die vielfältigste und reichste Sammlung dieser Dokumente stammt aus der Oase von Turfan (in der chinesischen Autonomen Region Xinjiang). Ihre Erschließung gehört zu den Jahrhundertaufgaben der Wissenschaft.“  (http://turfan.bbaw.de/)



[2] Turpan 吐鲁番, Urumchi 乌鲁木齐. In der chinesischen Sprache kann jede Silbe durch unterschiedliche Betonung verschiedene Bedeutungen haben. So hätte man für diese Städtenamen sicher auch freundlichere Übersetzungen finden können, die ebenso klingen.

[3] Thomas O. Höllmann: Die Seidenstraße, Verlag C.H.Beck, 2007